Die Echinocereus lindsayorum-Geschichte Michael Lange (mit freundlicher Unterstützung vieler Fachkollegen) Prolog Jan Řiha beendete seinen zweiten größeren Artikel über Echinocereus lindsayorum mit den folgenden Worten (Řiha 1990: 27): „Es ist mir klar, dass ich auf den vorausgehenden Seiten viele Superlative und starke Worte geäußert habe. Ich muss mich dafür entschuldigen. Im Zusammenhang mit E. lindsayi geht es aber nicht anders.“ Man kann es kaum besser ausdrücken! Einführung Es geschah vor genau 40 Jahren! Am 7. Mai 1975 entdeckt und sammelt Hernando Sánchez-Mejorada (1926–1988) den ersten Echinocereus lindsayorum in der Wildnis der Baja California. Eine Landschaft und eine Art, welche beide gleichermaßen die Kakteenhobbyisten und Fachbotaniker unverändert in ihren Bann ziehen. Die damalige Experten-Exkursion folgte einer Einladung der California Academy of Sciences (deren Direktor Dr. Lindsay bis zu seiner Pensionierung war) und wurde in den ersten Tagen von GeorgeEdmund Lindsay (1916–2002) geführt. Vermutlich am 10. Mai flogen George Lindsay und Geraldine Kendrick Morris Lindsay (1918–1983) zurück nach Kalifornien, kurz darauf gefolgt von Hernando und Teresa Sánchez-Mejorada, welche dann alle am CSSA Convent (11.–16. Mai 1975 in San Diego) teilnahmen. Die weiteren Exkursionsteilnehmer Dr. Helia Bravo-Hollis (1901–2001) und Dr. Jorge Meyrán-García (*1918) verließen die Baja ebenfalls per Flugzeug, jedoch in Richtung Mexiko-Stadt. Noch im Dezember 1975 wird die neu gefundene Art zu Ehren des Ehepaars Lindsay durch Meyrán (1975) im mexikanischen Fachjournal publiziert und als „Echinocereus lindsayi“ benannt (zur Namenskorrektur vgl. auch ICBN „Leningrad- Code“ Recommendation 73C). Wie die Art entdeckt wurde Über die bilaterale Baja-Exkursion von 1975 berichtet LINDSAY (1976 a & b) relativ ausführlich. Die Ehepaare Lindsay und Sánchez-Mejorada sowie Dr. Bravo und Dr. Meyrán waren zum ersten Mal gemeinsam auf der nun durchgängig asphaltierten Mex. 1 nach Süden unterwegs. Am Mittwoch, dem 7. Mai, startete das Team in El Rosario von der noch heute im Familienbesitz betriebenen legendären „Casa Espinoza“. Nach mehreren Stopps war schon am Nachmittag das Hotel Presidente in Cataviñá erreicht. Dort trennten sich dann die Parteien: LINDSAY berichtet (1976a) nur über die Stunden, welche er gemeinsam mit seiner Partnerin in Erinnerung an lang vergangener Tage Abenteuer und Bekanntschaften verbringt. So besehen unterstützt dieses immerhin vage Expeditionsprotokoll dennoch einen ohne Feldnummer angefertigten Herbarbeleg. Ich konnte ihn im April 2011 im Herbarium der Universität von Mexiko untersuchen: MEXU 0377958, ein blütenloses Exemplar von H. Sánchez-Mejorada am 7. Mai 1975, offensichtlich also zwischen El Rosario und Cataviñá gesammelt! Diesen Beleg examinierte auch schon Dr. N. P. Taylor bei seinem Besuch am 26. Mai 1986! Wenn hier also keine Verwechslung bei der Aufarbeitung der Feldsammlungen obiger Exkursion stattgefunden hat, dann müssen wir anerkennen, dass der eigentliche Entdecker der Art in H. Sánchez-Mejo rada zu sehen ist. Die tatsächliche Tragweite dieser Erkenntnis erweitert das natürliche (historische) E. lindsayorum-Areal sehr deutlich nach Norden! Für den „El-Rosario-Standort“ ist auch eine Höhenlage um 400 Höhenmeter möglich, was diese Angabe auf den Herbarbelegen des nomenklatorischen Typus indirekt erklären mag. Aktuell können wir diesen nördlichen Fundort jedoch nicht erneut belegen, aber er wird sicher eine Herausforderung für die künftige Feldforschung sein. Der nächste Tag sollte die Botaniker bis zur Bahia Los Angeles führen. Unterwegs gelang Meyrán und Lindsay am Vormittag des 8. Mai 1975 randseitig der „Mex. 1“ auf halbem Weg zwischen Cataviñá und Rancho Chapala das, was bisher in der Literatur als die Entdeckung des E. lindsayorum publiziert wurde (MEYRÁN 1975; LINDSAY 1976a & b). Sechs oder acht Pflanzen wurden der Natur entnommen und anschließend, während bzw. nach dem Frühstück auf dem Rancho, eingehend untersucht und dokumentiert. Der Typstandort Er war, ist und bleibt den Echinocereenfreunden ein Mysterium! Allerdings ist die Darlegung durch BRAVO & MEJORADA (1991: 72) immerhin dehnbar: „Localidad tipo: en lomerio rocoso al borde de la carretera, en la zona de la Mina Jaraguay, entre Rosario y Laguna Chapala.“ [Typlokalität: auf felsigem Hügel am Rande der Straße, in der Zone der Mine Jaraguay, zwischen Rosario und Laguna Chapala.] Die beiden an der Entdeckung beteiligten Spezialisten, darunter der Einzige, der es ganz genau wissen müsste (!), beziehen sich immerhin auch auf [El] Rosario und nicht auf die morgendliche Wegstrecke von Cataviñá nach Laguna Chapala! Was wir nur ungefähr wissen, ist die Kilometerangabe zum locus typicus. In der Beschreibung wird sie mit ca. 20 km südlich Santa Inés angegeben, die Typbelege sprechen von 400 Höhenmetern (Jstor, accessed 2013). LINDSAY selbst (1976b) schreibt < 1.100 Höhenmeter (< 3.300 Fuß). Alle diese Angaben können nicht stimmen, wenn wir unterstellen, dass die Linienführung der Mex. 1 so asphaltiert wurde, wie sie im Wesentlichen noch heute existiert. Schon ca. bei Cataviñá haben wir eine 600-m-Höhenlinie, innerhalb der nächsten 20 Kilometer steigt das Gelände tendenziell deutlich an! Selbst die Ebene der Laguna (Rancho) Chapala ist noch bei ca. 740 m Meereshöhe anzusetzen. Zur Ersteinführung Am 8. Mai 1975 wurden sechs bis acht Pflanzen dem Naturstandort entnommen. Dies ist die Typaufsammlung, welche durch Fotos, die G. Lindsay teilweise direkt vor Ort machen konnte, gut im lebenden Zustand dokumentiert ist. Diese und die im Verlauf der folgenden Woche entstandenen Fotos stehen seitens des San Diego Natural History Museums zur Ansicht zur Verfügung (unter www.bajaflora.org, sind aber teilweise falsch auf den 15. Mai 1975 datiert). Dr. Bravo und Dr. Meyrán nahmen einige der gesammelten Pflanzen mit in den Botanischen Garten in Mexiko-Stadt (LINDSAY 1976b). Sie hatten aber sicher viel mehr zu bewältigen als nur die Exemplare der Echinocereen. Anhand Lindsays überkommener Fotodokumentation liegt klar auf der Hand, dass auch Dr. Lindsay wenige Exemplare mit nach Kalifornien nahm. So erklärt sich auch eine Areole im Herbarium der Royal Botanical Gardens in Kew (K 2958/Barcode K000251456), welche als G. Lindsay 1975 s.n. bezeichnet ist. Sie gelangte über Hans Britsch (Senior-Chef von Western Cactus Growers, Vista/ Kalifornien) nach England. Dr. Lindsay hat mit großer Weitsicht gehandelt, als er das wertvolle Pflanzenmaterial vermehrungsorientierten Einrichtungen zur Verfügung stellte. Er bewies dies ein weiteres Mal, als er ein Exemplar aus der zweiten (von ihm, Frau Virginia Martin und dem Ehepaar Ed & Betty Gay im Mai 1976) durchgeführten Aufsammlung nach Prag an Jan Řiha schickte (Řiha 1990). Aus den vorliegenden Puzzlesteinen ergibt sich das folgende Bild: Originalmaterial wurde im Botanischen Garten in Mexiko-Stadt mindestens bis 1981 kultiviert (ŘIHA 1990). Außerdem vermutlich bei Western Cactus Growers in Vista/Kalifornien. Ein Original aus der Typaufsammlung liegt im Herbarium der ZSS in der Schweiz. Von der zweiten Expedition (ŘIHA 1977) gelangte eine Pflanze zunächst nach Prag (ŘIHA 1990), weiteres Material wurde offensichtlich in Gay’s Cactus Ranchito in Tarzana vermehrt (vgl. FRANK et al. 2001) sowie in der Sammlung Martin kultiviert (BUSEK, mündl.). Außerdem gelangte Material nach Abbey Gardens zum Ehepaar Bleck (ŘIHA 1977) und eine Frucht von Frau Martin zur Gärtnerei Kirkpatrick’s (BUSEK, mündl.). Am Standort ausgerottet! Die anekdotenhafte Geschichte überliefert zuerst K.-W. BEISEL (1983): „Wenige Tage, nachdem die Beschreibung des Echinocereus lindsayi publiziert wurde (MEYRÁn 1975), sei in Kalifornien ein Händler aufgetaucht, der einen Lkw mit diesem Echinocereus zum Kauf anbot, das Stück zu einem Dollar.“ Weiter heißt es bei Beisel: „Aber leider kam nie eine Sendung an; lediglich habe man eine Nachricht in der Zeitung lesen können, es sei mal wieder ein Händler an der Grenze geschnappt, seine Ladung beschlagnahmt und vernichtet worden.“ TAYLOR (1985: 45) berichtet: „Publication of its whereabouts (LINDSAY, 1976) permitted American collectors to drive down the Baja peninsula and decimate the plants in its roadside habitat, to the extent that it has been claimed as virtually extinct in the wild.“ TAYLOR (1993: 93): „The critical endangered var. lindsayi is not extinct in the habitat from over-collection as once feared, a handful of individuals have been rediscovered in February 1988 (HEIL & BRACK, ined.).” [„Die Veröffentlichung der Umstände durch LINDSAY (1976) erlaubte es den amerikanischen Sammlern auf die Baja zu fahren und dort die Pflanzen am straßennahen Habitat zu dezimieren; dies erreichte ein Ausmaß, dass die Pflanze als in der Natur ausgestorben zu betrachten ist.“ „Die kritisch gefährdete var. lindsayi ist am Standort nicht durch übermäßiges Absammeln ausgestorben, wie einst befürchtet wurde; eine Handvoll Individuen wurde im Februar 1988 wiederentdeckt (HEIL & BRACK, ined.).“ Anmerkung: Die angekündigte Veröffentlichung durch Heil & Brack erfolgte meines Wissens bisher nicht!] Bei FRANK et al. (2000: 319) & FRANK et al. (2001: 32) klingt es so: „Es kamen dann unbestätigte Meldungen, dass sofort nach Publikation der Erstbeschreibung die widerrechtliche Entnahme großer Mengen dieser Pflanzen am Standort vorgenommen und diese in die USA eingeführt worden seien.“ Ob es nun wahr ist oder ein Märchen, welch eine haarsträubende Geschichte! Haarsträubend, weil sie insbesondere in der ersten zitierten Version in sich völlig widersprüchlich ist; und haarsträubend, weil wir wissen, dass es derartige Szenarien leider gegeben hat und augenschein-lich noch immer gibt! Für den historischen Lindsayorum-Typstandort möchte ich unterdessen ein solches hässliches Vorkommnis in der zitierten Dimension ausschließen: Erstens, weil diese Population schon von den Entdeckern als klein beschrieben wurde (vgl. auch ŘIHA 1977); Zweitens, weil die mittlerweile bekannt gewordenen (Teil-)Populationen nie so dichte Bestände bilden, dass man schnell entsprechend große Pflanzenmengen finden würde und zusammentragen könnte; Drittens, weil die Vorkommen so schwer erreichbar sind, dass es ein generelles Transportproblem vom Standort zum nächsten befahrbaren Weg gäbe und viertens, weil mehrere Autoren glauben, dass der locus historicus inklusive lebender Pflanzen wieder aufgefunden wurde (TAYLOR s.o.; FRANK et al. 2000)! Zum Abschluss dieses unrühmlichen Kapitels in der E. lindsayorum-Legende ein Auszug aus der amerikanischen Fachliteratur (ANONYMOUS 1987, zitiert in ANONYMOUS 1988): [E. lindsayorum] „was discovered in Baja California in 1979 and published that year in the Journal of the Cactus and Succulent Society. Within six months the population was exterminated by collectors. Another was found later; its location is kept secret. This is a stark example of a species deliberately endangered by humans, although far more species are threatened by habitat destruction.” (Übersetzung: „[E. lindsayorum] wurde 1979 in Niederkalifornien entdeckt und im selben Jahr im Journal der Kakteenund Sukkulenten-Gesellschaft publiziert. Innerhalb von sechs Monaten war die Population durch Sammler ausgelöscht. Eine andere wurde später gefunden, deren Standort geheim gehalten wird. Dies ist ein krasses Beispiel für die vorsätzliche Gefährdung einer Art durch den Menschen, gleichwohl sind viel mehr Arten durch die Zerstörung ihres Lebensraumes gefährdet.“) Ein Kaktus für jedermann? Echinocereus lindsayorum erobert die Kakteensammlungen Die europäische Kulturgeschichte des Echinocereus lindsayorum beginnt östlich der Mauer: in Prag! Dr. Řiha erhält vermutlich 1976 ein lebendes Exemplar per Post zugeschickt. Es entstammt der zweiten Aufsammlung, welche Dr. Lindsay zusammen mit dem Ehepaar Gay und Virginia Martin ca. sechs Monate nach der Publikation durchführte. ŘIHA (1990) berichtet detailliert, dass es nicht vom Typstandort, sondern aus einer neuen Population stammt. Er erhielt diese Importe, welche auch in ŘIHA 1977 und 1978 abgebildet ist. Diese Fotografien hat unser tschechischer Experte selber aufgenommen und sie gelangten zusammen mit einer anderen, bisher unveröffentlichten Aufnahme, über U. Raudonat an die Redaktion der Literaturschau Kakteen in den Osten Berlins. ŘIHA (1990) schildert sehr gefühlsbetont das Schicksal, welches diese Pflanze unter den pflegenden Händen Michael Haudes in Jänkendorf nahm. Um es abzukürzen: Sie hatte Nachkommen! Aber über den weiteren Verbleib nach Haudes Tod 1994 und der schrittweisen Auflösung der Gärtnerei konnte nichts ermittelt werden. ŘIHA (1990) berichtet auch über andere Pflanzen und Samen, die aus Kalifornien zunächst in die Bundesrepublik kamen und dann ihren Weg in die damalige ČSSR bzw. in die DDR fanden. Ein erster Kulturimport wird durch FRANK et al. (2000: 319) für den Frankfurter Palmengarten bezeugt, er trug auf seinem Namensschild noch einen Hinweis zur Herkunft: Cactus Ranchito, Tarzana. Der Kreis schließt sich also auch in Richtung E. & B. Gay! 1988 wurde aus dem Fonds der ISI Pflanzenverbreitung (ISI 1790) der Huntington Botanical Gardens ein weiterer wesentlicher Beitrag zur Vermehrung in der Kultur geleistet. In der Sammlung Raudonat/Markkleeberg ist noch eine Merkwürdigkeit vorgekommen. Ein aus dem Jahr 1988 überkommener Klon mit der Bezeichnung „ex M. Zachar“ kam 2012 in Knospe, nur öffnete sich diese nicht. Ähnliches wurde zeitgleich auch in anderen Sammlungen beobachtet und mit einer kühlen Wetterlage oder zugiger Luft erklärt. In Markkleeberg geschah dann das Wunderbare: Die geschlossene Knospe entwickelte sich zur Frucht. In dieser gereifte Samen wurden geerntet und ausgesät und … keimten. Das Leben findet einen Weg! Zur „Wiederentdeckung“ Der Typstandort ist also nach den historischen Daten keinesfalls sicher zu lokalisieren! Auch BETZLER (2003) berichtet rückblickend über die zeitraubende Suche. Was wir vom Typstandort jedoch sicher wissen, ist die unmittelbare Nähe zur Straße und die Begleitvegetation. Letztere ist typisch in der gesamten Region und in der sukkulenten Strauchschicht geprägt von E. engelmannii und Ferocactus (acanthodes) tortulispinus. Wahrscheinlich wurde die kleine straßennahe (Rest-)Population des E. lindsayorum, in welcher der Autor ein mögliches Überbleibsel der Typpopulation vermutet, wirklich nur durch Zufall wiederentdeckt, denn sie ist einige Kilometer Luftlinie von einem inzwischen häufiger besuchten Habitat entfernt. Schon die Möglichkeit das Auto hier zu parken, ist mehr als gewagt. Und Pflanzen vom fahrenden Auto aus zu sehen, ist wohl selbst in der Blütezeit schier unmöglich, denn auch aus geringer Distanz betrachtet, ist die Tarnung so perfekt, dass die Pflanzen nahezu unsichtbar bleiben. Wir hatten trotzdem das Glück, sie zu finden, dank exakter Aufzeichnungen unseres verstorbenen Kollegen Dr. Richard Chr. Römer. Natürlich ist es letztlich nicht zu beweisen, doch diese straßennahe Population mit ca. zehn (!) im März 2013 lebenden Pflanzen passt sehr gut in den Gesamtkontext des Protologs! Die liebe Verwandtschaft Während in der Erstbeschreibung die These einer nahen Verwandtschaft zu E. engelmannii und zu E. ferreirianus postuliert wird, scheint sich Ersteres nicht zu bestätigen. Die aktuelle Untersuchung zur Genetik (SANCHEZ et al. 2014) geht davon aus, dass es sich „nur“ um Schwestergruppen handelt! Demnach bilden E. ferreirianus und E. barthelowanus eine gut abgegrenzte Schwestergruppe zu E. lindsayorum! So gesehen sollte nun endlich auch die taxonomische Frage entschieden sein. Zurückliegend hat vor allem Dr. Frank in verschiedenen Publikationen, vor allem aber 1998 die Differentialmerkmale ferreirianus versus lindsayorum herausgearbeitet und in FRANK et al. 2001 (64 f., 69) zuzüglich detaillierter Abbildungen wiederholt. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten beider Taxa unübersehbar, weshalb im nachfolgenden Bildteil markante Details gegenübergestellt werden. Dabei fallen insbesondere die Blütenvariationen des E. lindsayorum auf, wo selten purpurfarbene Narbenlappen beobachtet werden kön-nen, während diese bei E. ferreirianus eher gelblich, mitunter fast weiß wirken. Außerdem wird auf die bei lindsayorum häufig im Ansatz verlängerte Fruchtkammer, einen sogenannten Stielfortsatz, aufmerksam gemacht. Die Früchte beider Arten können aufplatzen und können sich farblich in Richtung hellbraun verfärben oder sie bleiben grün. Nachzutragen wäre die Ploidiestufe, welche für beide Taxa anhand von Saatgut ermittelt wurde (vgl. RUINAARD 2014) und jeweils diploid ist (2n=2x=22) [teste Ruinaard & Plant Cytometry Services: E. lindsayorum ex M. Zachar & E. ferreirianus s.n.]. So gut sich E. lindsayorum vom deutlich südlicher verbreiteten ferreirianus morphologisch abhebt, so groß ist seine Ähnlichkeit zu einigen so gar nicht verwandten Kakteenarten. Dieses wurde schon von verschiedenen Autoren bemerkt, soll aber in dieser Arbeit erstmals durch Gegenüberstellung entsprechender Fotos näher beleuchtet werden. Die Auflösung findet sich im Bildnachweis! Vielfalt: Maße, Farben und Formen Schwarze Dornen, rote Dornen, weiße Dornen, gerade Dornen, verdrehte Dornen, gelbe Dornen, spitze Dornen. Vor allem sehr schöne Dornen! Das alles bietet uns E. lindsayorum. Natürlich möchten wir am liebsten alle Farbvarianten in unserer Sammlung haben. Schwarzbraun ist der Normalfall, im Neutrieb rot und im Alter vergrauend. Weiß oder sagen wir fast weiß ist auch hin und wieder zu sehen, selbst goldgelb ist keine Ausnahme! Ist eine Aussaat nur groß genug und die ersten beiden heiklen Jahre überstanden, dann kann die Selektion losgehen. Auf der Homepage eines österreichischen Kakteengärtners sah ich eine solche unglaublich schöne Pflanze (http://www. kakteen-niess.at/cms/index.php?option=com_content&view=article&id=128%3Anewsflash-2&catid=3%3Anewsflash&Itemid=50). Wirklich honiggelbe Dornen, quasi ein dicht bedornter Ferocactusjohnstonianus. Aber auch am Standort finden sich alle Farbvarianten. Hoffen wir, dass es reichlich gelbdornige Sämlinge vom sogenannten „Aureispinus“ geben wird! Dass es davon eine ganze (oder halbe) Population in Süd-Baja-California geben soll, ist Gärtner-Latein und kein Grund den Artenschutzapparat in Marsch zu setzen. Naturschutz unter dem Banner von CITES E. lindsayorum wurde als erste Echinocereus-Art in die oberste Schutzkategorie des Washingtoner Artenschutzabkommens im Juni 1981 aufgenommen. Synonym ist der Anhang I der CITES-Listen zu betrachten. „Jeder Kauf oder Verkauf muss grundsätzlich vorher durch die jeweiligen Artenschutzbehörden genehmigt werden.“ (http://www.artenschutzonline.de/artenschutz_im_urlaub/anzeige_geschuetzter_arten.php?id_region=10&p_sammelname=27&schutzstatus=A&number=3#3) Doch wird dieses Gebot im Regelvollzug in der EU großzügig gehandhabt, soweit es sich um die hier und heute üblichen gärtnerischen Nachzuchten handelt (vgl. HOFACKER 2006). Wichtig: Die Rechnung sollte man als bestens geeigneten, datierten Besitznachweis trotzdem gut aufheben! Damit steht der Komplettierung unserer Sammlungen und der weiteren Verbreitung dieser schönen Formen in unseren Gewächshäusern nichts entgegen. Und der gleichzeitige Beitrag für den Artenschutz ist enorm: Bitte bedenken Sie, wenn Sie schon das Glück haben, diese Pflanze einmal am Naturstandort zu sehen. Finden, freuen, fotografieren! Nichts kann eine einmal dem Heimatboden entrissene Pflanze wieder dorthin zurückbringen. Das gilt natürlich für alle Kakteen! Resümee Zur generellen Verbreitung heißt es im englischen Teil der Erstbeschreibung (MEYRÁN 1975: 82): „The new species is found near Cataviña (Santa Ines) near where E. engelmannii is widely distributed, especially on the eastern slope of the peninsula, but also from the central region, extending nearly to Rosario.” In der deutschen zusammenfassenden Übersetzung des spanischen und englischen Originaltextes (ANDREAE & NEUMANN 1978: 226) wurde daraus: „… auf der Ostseite der Halbinsel, ca. 20 km südlich von Cataviñá (Santa Inés), auf einem steinigen Hang nahe der Straße, in spärlicher Begleitvegetation, bei der Echinocereus engelmannii […] vorherrschen; auch im zentralen Teil der Halbinsel, etwa bis Rosario vorkommend.“ Ist dieser Hinweis auf El Rosario nur eine missverständliche Formulierung, die sich eigentlich auf das Areal von E. engelmannii bezieht, oder steckt mehr dahinter? Alle späteren Autoren gehen jedenfalls nicht auf diesen Hinweis ein! Ein hier erstmals offengelegter Herbarbeleg stützt die Vermutung einer Population nördlich des Typareals immerhin! Vergleicht man die Fachliteratur, so ist nicht nur bezüglich der Dornenfarbe eine Erweiterung der Originaldiagnose möglich. Höhe bis 30 cm, Durchmesser bis 12 cm (jeweils ohne Dornen). Alle Angaben zu Körpermaßen sind stark von den vorhergehenden Niederschlägen abhängig. Es wurde auch berichtet, dass die Pflanzen nach ergiebigem Regen regelrecht aufplatzten (MARTORELL et al. 2012). Auch bezüglich Körperhöhe (bis 30 cm) und Durchmesser (bis 15 cm, Řiha 1977) und zur Höhenlage der Vorkommen (400–) 790–1180 m NN darf man die Erstbeschreibung heute ergänzen. Besonders interessieren die Dornen, die nicht nur mit ihrer Farbvielfalt, sondern auch mittels ihrer eigentümlichen Form, die mich hin und wieder an die unförmigen Stoßzähne eines Mammuts erinnern, generell Aufmerksamkeit erregen und für einen speziellen „Look“ sorgen: Damit sind und bleiben diese Pflanzen unverwechselbar! Alles in allem: Mit und auch ohne Blüten, sie sind ein Schmuckstück für jede Sammlung. George Edmund Lindsay jedenfalls, er teilte unsere Freude an diesen schönen Pflanzen bis ins hohe Alter; vermehren wir sie also gut, unsere E. lindsayorum.