Die Verbreitung von Echinocereus polyacanthus Eine Dokumentation von Werner Rischer Einführung Über Echinocereus polyacanthus Engelmann ist von unterschiedlichen Autoren schon häufiger berichtet worden. Auch von mir wurden mehrere Abhandlungen über die Art publiziert (z. B. RISCHER 1993, 2015). 1996 ist von der AG Echinocereus ein Sonderheft „Der Echinocereus polyacanthus-Komplex“ durch K. Breckwoldt & H. Matylewicz aufgelegt worden. Hier soll eine zusammenhängende Betrachtung der Art E. polyacanthus in seiner Verbreitung nach den letzten Erkenntnissen diskutiert werden. Auch einige Besonderheiten, die für die Art prägend sind, werden zuvor noch einmal in Erinnerung gebracht. E. polyacanthus ist in seinen metrischen Abmessungen sehr variabel. Es gibt Populationen, bei denen einzelne Triebe eine Länge von bis zu einem halben Meter und einen Durchmesser von bis zu 7 cm erreichen können. In anderen Populationen kann man Gruppen beobachten, die nur bis zu 20 cm hoch werden, dafür aber bis zu 100 und mehr Triebe hervorbringen. Auch bei den Blüten gibt es einige Besonderheiten. Einmal ist es das diözische Blühverhalten (immer nur funktional männliche oder funktional weibliche Blüten auf einer Pflanze). Bemerkenswert ist, dass die weiblichen Blüten, wie bei E. pacificus auch, immer die kleineren sind. Des Weiteren reicht die Blütenfarbe von dunkelrot über orangerot, sehr selten wurden rosafarbene Blüten beobachtet. Beschreibung Die Erstbeschreibung des Echinocereus polyacanthus erfolgte durch Engelmann (1848 in A. Wislizenus) nach Pflanzen aus Cusihuiriachi in Chihuahua; allerdings ohne Blüte. Eine ausführliche Beschreibung in Deutsch liefern BLUM et al. 1998. Nachfolgend eine Kurzbeschreibung: Körper: kurzzylindrisch – zylindrisch, aufrecht, bis 450 mm hoch, bis 70 mm Durchm. Rippen: 9 – 13, leicht gehöckert. Wurzeln: faserig verzweigt. Bedornung: Areolen rund. Randdornen: 7 – 12, bis 15 mm lang, anliegend, spreizend, weiß – grau – gelb, dunkel gespitzt. Mitteldornen: 2 – 4, bis 80 mm lang, weiß – gelb – grau – schwarz, dunkel gespitzt abstehend, spreizend, steif, gerade. Blüte: orange – rot, selten rosa, ca. 30 – 60 mm lang, 20 – 60 mm Durchm. Fruchtknoten grün, ca. 15 mm lang und 10 mm Durchm. mit lanzettlichen, bräunlichen Schuppen bedeckt, aus deren Achseln weiße Wolle und Bündel von 3 – 12 weißen Borsten treten. Blütenröhre etwa 25 mm lang, 10 mm breit. Blütenhülle mäßig weit trichterförmig. Kronblätter ca. 25 mm lang und 5 – 12 mm breit, spatelförmig, stumpf. Nektarkammer ca. 6 – 8 mm lang, 3 – 5 mm breit. Griffel 30 – 35 mm lang, 1,5 – 2,0 mm dick. Staubfäden 10 – 30 mm lang, weiß, oben violett mit 7 – 12 grünen Narbenstrahlen. Weibliche Blüten sind deutlich kleiner als gleich alte männliche. Frucht: 15 – 25 mm lang, 15 – 20 mm Durchmesser, grün, bei der Reifung leicht bräunlich. Verbreitung Das Verbreitungsgebiet der Art E. polyacanthus ist sehr weiträumig. Es erstreckt sich von ca. 24° bis 30° nördlicher Breite und 103° bis 108° westlicher Länge über die mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua, Durango und Coahuila. In Nord-Süd-Ausrichtung sind das ca. 700 km und in West-Ost-Ausrichtung ca. 350 km; das ergibt eine Gesamtfläche von ca. 24.500 qkm. Allerdings findet man die Art im umrissenen Gebiet nur in geeigneten Habitaten auf Höhen von 1.600 – 2.500 m ü. M. In „Echinocereus“ (BLUM et al. 1998) wird das Verbreitungsgebiet von Durango (Hauptstraße MEX 40) nördlich bis nach Nuevo Casas Grande in Chihuahua und im Osten bis Presa de la Boquilla und Sierra Mojada (Coahuila) angegeben. Die „Inselpopulation“ bei Sierra Mojada liegt damit ca. 150 km östlich des Hauptverbreitungsgebietes! Im Bundesstaat Chihuahua wurden u.a. an folgenden Örtlichkeiten eigenständige polyacanthus-Populationen vorgefunden: Cusihuiriachi: Am Typstandort findet sich nur ein Echinocereus-Taxon, welches mit Engelmanns Erstbeschreibung in Einklang gebracht werden kann. Damit steht die Identität der Art zweifelsfrei fest. In der Kultur verfügen wir über verschiedene neuzeitliche Aufsammlungen, wie z. B. HK 1750 oder SB 191; so kann sich jeder ein eigenes Bild anhand von definierten Kulturpflanzen verschaffen. Außerdem finden sich im Umfeld weitere Echinocereenarten, die aber nicht näher mit E. polyacanthus verwandt sind: E. adustus und E. palmeri. Es lohnt sich deshalb immer in solchen Lebensräumen nach Naturhybriden zu suchen, allerdings sind trotz ganz weniger Hinweise bisher keine definierten Hybriden aufgetaucht. Straße Hidalgo del Parral – Puerto Justo – San Pablo Balleza bis nach Guachochic: Vorkommen an fünf räumlich getrennten Orten. Straße Guachochic – Est. Creel: vier räumlich getrennte polyacanthus-Populationen. Straße Est. Creel – San Juanita – Tomochic – Basaseachic: vier getrennte polyacanthus-Populationen. Nahe dem Ort Tomochic wurden in einem Habitat E. polyacanthus und E. salm-dyckianus gemeinsam vorgefunden. Straße Puerto Justo – El Vergel – Guadelupe y Calvo: sechs räumlich getrennte polyacanthus-Populationen. Straße Bocoyna – Sosiguchi: drei polyacanthus-Populationen. Straße La Junta – Guerrero: eine polyacanthus-Population. Straße Mata Ortiz – Pacheco: zwei polyacanthus-Populationen: An beiden Fundorten ist E. polyacanthus mit einer anderen Echinocereen-Art vergesellschaftet, einmal mit E. fendleri und einmal mit E. arizonicus. Santa Clara Canyon: Hier wächst E. polyacanthus vergesellschaftet mit E. fendleri, E. palmeri und E. russanthus. Die Population in Presa de la Boquilla (BLUM et al 1998: 412 ff. und Karte) ist mir nicht bekannt. Bis heute habe ich leider keine Fotos oder Nachzuchten dieser Population sehen oder untersuchen können. An der Straße Ojinaga – Ciudad Camargo nahe dem Ort Polvorillas finden sich mehrere Populationen, die ich ebenfalls nicht persönlich kenne (vgl. ROCZEK & STROBL 2014). Es handelt sich nach neuesten Beobachtungen um mehrere nicht zusammenhängende Vorkommen. Dazu eine persönliche Aussage von René Goris: „Wir fuhren von Polvorillas ca. 45 km in nordwestliche Richtung und sahen immer wie-der E. polyacanthus, daneben sahen wir auch immer wieder E. dasyacanthus.“ Freundlicherweise stellten mir René Goris und Johann Strobl Bilder blühender Pflanzen am Standort zur Verfügung. Im Bundesstaat Coahuila wurden an folgenden Örtlichkeiten polyacanthus-Populationen vorgefunden: Am Typstandort des E. metornii gibt es ortsnah ein polyacanthus-Vorkommen. Bemerkenswert sind Fotografien von E. coccineus östlich des Ortes! Im Jahr 1996 konnte M. Lange diese Gegend bereisen und fand E. polyacanthus in Blüte. 2003 konnte auch ich den Standort des E. metornii bei Sierra Mojada besuchen. Neben E. metornii sah ich dort nur eine E. coccineus-Form. Man kann also davon ausgehen, dass neben E. metornii lokal auch E. polyacanthus und E. coccineus nebeneinander vorkommen. Nach Mitteilung von Egon Scherer gibt es südlich von Sierra Mojada eine weitere E. polyacanthus-Population. Im Bundesstaat Durango wurden an folgenden getrennten Örtlichkeiten polyacanthus-Populationen vorgefunden: Straße Durango – Santiago de Papasquiaro – Tepehuanes – Guanacevi: vier räumlich getrennte polyacanthus-Populationen. Weg Guanacevi – San Pedro: eine polyacanthus-Population, vergesellschaftet mit E. adustus. Straße 40 Durango – El Salto– Mazatlan: vier getrennte polyacanthus-Populationen. Straße Coyote – Unidos Venceremos: eine polyacanthus-Population. Straße zum Coneto-Pass: eine polyacanthus-Population. Straße nach Minas Navidad: eine polyacanthus-Population. Dieses Vorkommen ist vergesellschaftet mit E. pectinatus und E. schereri. Diskussion Ausgenommen die fraglichen Populationen von Polvorillas, Presa de la Boquilla und Sierra Mojada konnte ich bei zahlreichen Feldbegehungen alle aufgeführten Standorte selbst be- und untersuchen, einen Teil davon mehrmals. Die Standortangabe Sierra Mojada fußt auf einer Information in der Erstbeschreibung des E. metornii (FRANK 1990: 212). In diesem Text ist bei der Begleitflora u. a. nachzulesen: „Echinocereus triglochidiatus-Form“. Das ist aber offensichtlich eine Fehlbestimmung der lokalen E. polyacanthus- bzw. E. coccineus-Pflanzen. Anlässlich seines Vortrages über die Echinocereus coccineus-Gruppe berichtete W. Blum auf der Frühjahrstagung 2015 über seine Probleme bei der Zuordnung der Vorkommen bei Polvorillas. Schließlich ordnete er sie bei E. polyacanthus ein. Nach Auswertung weiterer Bilder und Vergleichen mit eindeutigen polyacanthus-Populationen komme ich zu der Ansicht, dass es sich bei den Polvorillas-Pflanzen rein morphologisch um Übergangspopulationen des E. coccineus subsp. rosei bzw. des neu beschriebenen subsp. transpecosensis handeln könnte, dabei sehe ich jedoch eine große Affinität zu E. polyacanthus. Denn die Areolen der Blütenröhren von E. polyacanthus sind in der Regel mit mehr oder weniger weißer Wolle besetzt. Die Areolen der Blütenröhren der Polvorillas-Populationen sind ohne Wolle, nur mit wenig weißem Filz besetzt oder ganz nackt. Leider gibt es keine Fruchtvergleiche, um diese Zuordnung zu bestätigen oder zu verwerfen. Die Früchte dieses Formenkreises sind ein gutes Unterscheidungsmerkmal (vgl. BLUM & FELIX 2013). Bei E. coccineus verfärben sie sich bei der Reifung rötlich und werden auch größer im Vergleich zu E. polyacanthus-Früchten, welche dünnhäutig sind und grün bleiben oder sich nur leicht verfärben. Auch die Echinocereen-Population bei Sierra Mojada hat meiner Ansicht nach einen diskussionswürdigen Status. Vonmehr als zehn befragten Personen, die diese Lokalität besucht haben, hat bis auf M. Lange dort niemand einen E. polyacanthus beobachten und mit Blütendetails, geschweige denn mit Früchten, dokumentieren können. Möglicherweise gibt es in den höheren Regionen dieser Lokalität mehr Polyacanthen zu finden. Belegt ist jedoch, dass mehrere Personen dort E. coccineus-Formen gesichtet und fotografiert haben. Betrachtet man die Karte, sieht man, dass die hier diskutierten Populationen doch relativ weit östlich vom Hauptverbreitungsgebiet entfernt liegen. Polvorillas ca. 200 km und Sierra Mojada ca. 150 km. Jeder erfahrene Feldläufer hat schon beobachtet, dass an den Randgebieten einer Art morphologisch abweichende Populationen gefunden werden. Es bedarf einer sehr detaillierten Betrachtung solcher Pflanzen, um zu entscheiden, ob es tatsächlich Übergangsformen zu nahe verwandten Arten (bzw. Unterarten) sind oder ob dort schon Vertreter einer anderen (nahe verwandten oder morphologisch ähnlichen) Art vorkommen. E. polyacanthus und E. coccineus sind dafür ein sehr gutes Beispiel. Sie sind augenscheinlich sehr ähnlich und sicher sehr nahe miteinander verwandt und es ist nicht immer einfach, diese beiden Arten zu unterscheiden. Das erste und beste Beispiel dafür liefert Engelmann höchstpersönlich: Die von ihm publizierte Erstabbildung (1859: Abb. 54) zeigt nach heutigem Verständnis E. coccineus bzw. rosei aus der Nähe von El Paso (heute Ciudad Juarez). Diese Dokumentation erhebt natürlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, denn immer wieder werden bei Feldbegehungen bisher unbekannte Habitate entdeckt. Ich bitte alle Mexiko-Reisenden, die zu diesem Thema etwas beisteuern können, im Echinocereenfreund oder mir darüber zu berichten. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei den Früchten gewidmet werden. Danksagung Herzlichen Dank sage ich Uli Dosedal, René Goris, Michael Lange und Johann Strobl für ihre wertvollen Hinweise zu den Standort-Populationen sowie für ihr Bildmaterial. M. Lange danke ich außerdem für die Diskussion zum Thema.