Weitere Mitteilungen über Echinocereus ortegae Michael Lange A: Das Verbreitungsgebiet Angestachelt durch die erhebliche Größe des Verbreitungsgebietes, wie sie von RISCHER (2018) mit 428.000 qkm angegeben wurde, beschäftigte ich mich mit den verfügbaren Daten. La LUZ et al. (2013) nennen ebenfalls (nur) die drei mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua, Durango und Sinaloa. Sie gehen aber wohl davon aus, dass Echinocereus koehresianus ein Synonym von E. ortegae ist. Beide Areale überschneiden sich in größeren Teilen, E. koehresianus findet sich aber noch deutlich weiter nördlich und vor allem weiter südlich, mindestens bis zur Autostraße Mex. Fed. 40! Wenn wir alle verifizierten Fundpunkte um den E. ortegae-Typfundort Sianori in einer Karte auftragen und verbinden, bekommen wir eine amöbenhafte Figur im Dreiländereck Chihuahua-Durango-Sinaloa. Außerdem dienen Flusstäler häufig als Ausbreitungshilfen. Daher habe ich versucht, auf Basis der besiedelten Flussgebiete und deren Gesamteinzugsgebiete (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_%C3%A4ngsten_Fl%C3%BCsse_in_Mexiko 10.Jan.2017) sowie der kleineren, dazwischenliegenden separaten Flussgebiete eine realistischere Bezugsgröße zu eruieren. Eventuell kommen noch weitere benachbarte Oberläufe, z.B. solche des Rio Nazas, dazu. Das ergibt als alternative Größenordnung eine Gesamtfläche von nur ca. 40.000 qkm (zum Vergleich: der Freistaat Bayern hat ca. 70.000 qkm), in der E. ortegae sensu stricto potenziell auf geeigneten Standorten gefunden werden könnte. B: Recherchen zum Typus Schon seit über drei Jahrzehnten beschäftigt uns die wissenschaftliche Beschreibung des Echinocereus ortegae. Bereits TAYLOR (1988: 80 & 1994: 87, 95), RAUDONAT (1995: 53) sowie RISCHER & FRANK (1996: 94) weisen deutlich auf die Diskrepanzen zwischen dem spanischen Text und den Merkmalen des Lectotypus hin. Nach TAYLOR (1994: 95) ist der Lectotypus ein in Kew hinterlegtes, aus dem US National Herbarium stammendes Schwarz Weiß-Foto. Dieses und ein komplementäres Foto erhielt zuerst Jürgen Rutow im Rahmen seiner Korrespondenz mit Dr. Taylor (datiert 30. September 1996) als Fotokopien. Das Bild vom Lectotypus wurde bereits durch RISCHER & FRANK (1996: 95) reproduziert. Heute, im Zeitalter des Internet, können wir beide Bilder der blühenden Typpflanze unschwer ebendort finden [http://n2t.net/ark:/65665/3d6b0ef66-9100-4053-9cb5-66720cf12e34]. Unter diesem Link findet sich ein Scan des Herbarbogens US1490479 (Barcode 00172300) mit der Bezeichnung Echinocereus ortegae Britton & Rose (datiert 1924). [Die Online-Recherche (20. Oktober 2017) im Herbarium Kew findet das entsprechende Lectotypus-Foto daselbst jedoch nicht, wenn man Typexemplare oder überhaupt die Herbarbelege zur Gattung Echinocereus durchsucht. Aus dem Kontext dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dass Taylor das Foto mit der Seitenansicht der blühenden Typpflanze auswählte: „… this photograph does not entirely agree with Ortega‘s description …“.] Übersetzt man den Text der Erstbeschreibung (ORTEGA 1929) und kennt man den Kontext seiner Entstehung, wird deutlich, dass sich nur die blütenmorphologischen Merkmale auf das von J. G. Ortega gesammelte Typmaterial des E. ortegae beziehen können, die morphologischen Merkmale des Körpers jedoch auf den Echinocereus spec. von Alamos/Sonora (gesammelt von Rose et al. #13123 im März 1910 und hinterlegt als US635940, datiert 19. März 1910). Für diesen wurde der entsprechende Text durch BRITTON &ROSE (1922: 43) publiziert. Betrachtet man den spezifischen Herbarbeleg, spiegelt sich darin folgerichtig diese Beschreibung „von Trieben mit einem oder zwei Köpfen“ wider. Sehr wahrscheinlich repräsentiert dieser Herbarbeleg die Art E. sanpedroensis. Auch bezüglich E. ortegae liefert der zugehörige Herbarbogen mit all seinen Applikationen viele hilfreiche Erklärungen und zweifelsfreie Bestätigung für die Typifizierung. Diese Applikationen sind: gepresste Blütenteile, gepresste Körperteile, zwei Schwarz-Weiß-Fotografien, ein englischer Schreibmaschinentext, ein spanischer Schreibmaschinentext mit händischer Unterschrift von J. G. Ortega (= Begleitschreiben datiert vom 7. Juni 1924), der gedruckte englische Textausschnitt zu Echinocereus spec. aus der Cactaceae Vol. 3 und ein kleiner, geheimnisvoller Umschlag. 1. Ortegas Begleitschreiben vom 7. Juni 1924 lautet (Laienübersetzung): „Hr. Dr. J. N. Rose, Washington Sehr geehrter Herr: An dieser Stelle finden Sie ein Foto der Blüte und die getrocknete Blume des Echinocereus ortegae. Wenn die Frucht gereift ist, werde ich sie Ihnen schicken …“ 2. Der gedruckte Textausschnitt aus der Cactaceae (Vol. 3: 43) wurde inhaltlich zur Vorlage für den körpermorphologischen Teil des Briefes, den Rose verfasste und an Ortega sandte. 3. Der getippte Text wiederholt diese Daten und ergänzt sie um den blütenmorphologischen Teil. Er erklärt auch die Ansicht von Dr. Rose, der die Aufsammlung Ortegas von Sianori/Durango und seine eigene Aufsammlung #13123 von Alamos/Sonora für die gleiche Art hält. Dieser Text kann großteils als spanische Übersetzung in Ortega (1929: ohne Seitenzahl) nachgelesen werden und wurde so zwar als briefliche Mitteilung konzipiert, fand schließlich jedoch zur Erstbeschreibung für den Namen Echinocereus ortegae Rose ex J. G. Ortega Verwendung. Außerdem erfahren wir das Datum, an dem Ortegas Pflanze in Washington zur Blüte kam: 3. Juli 1924. 4. Die beiden Schwarz-Weiß-Fotografien, zeigen augenscheinlich dieselbe blühende Pflanze in zwei Ansichten; sie sind identisch zum Lectotypus-Exemplar. Sie wurden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Dr. Rose bzw. seinen Mitarbeitern angefertigt und sind somit auf den Juli 1924 zu datieren. Ortega sandte laut Begleitschreiben nur ein einzelnes Foto (datiert Mai oder Juni 1924) nach Washington, welches wir bislang nicht kennen. 5. Die montierten gepressten Blütenteile und der Körperabschnitt gehören nach meinem Verständnis zusammen. Sie wurden von Ortegas Pflanze gewonnen, die am 3. Juli 1924 in Washington zur Blüte kam. Der Körperabschnitt repräsentiert den unteren und den mittleren Teil des blühenden Sprosses. Der fehlende obere Teil wurde vermutlich zu einem zweiten Herbarbeleg verarbeitet. Und zwar zusammen mit der hier fehlenden kleineren Blütenhälfte (die der Triebspitze eventuell noch anhaftet). Über beider Verbleib wissen wir leider nichts. 6. Der kleine Umschlag wurde auf meine Bitte hin von den Mitarbeitern des US National Herbariums geöffnet. Zum Vorschein kamen getrocknete Blütenteile inklusive Narbe. Das eigens angefertigte Foto wurde als „courtesy of United States National Herbarium (US)“ für diese Publikation zur Verfügung gestellt. Es passt sehr gut zum gesamten Protolog und ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der getrocknete Blütenrest, den Ortega in seinem Brief vom 7. Juni 1924 nach Washington verschickt hat. Dieser Blütenrest wurde oberhalb des Fruchtknotens abgetrennt. Die Länge seiner Borsten stimmt sehr gut mit denen der aufmontierten gepressten Blütenhälfte überein. Diese Blütenreste repräsentieren weitere Stücke des Originalmaterials, weil sie Teile von Ortegas Typaufsammlung von Sianori in Durango sind. 7. Ob Rose später auch die reife Frucht von der bei Ortega verbliebenen Pflanze erhalten hat, ist leider nicht bekannt. Auch nicht das Schicksal des zweiten, kürzeren Sprosses der Typpflanze in Washington. Vielleicht befinden sich deren vegetative Nachkommen noch heute im Botanischen Garten von Washington, D. C. Unmöglich ist es nicht, wie das Schicksal des E. x kunzei zeigt (LANGE 2014)! Die Art und Weise, wie der unter 5. Angeführte Blütenschnitt angefertigt wurde, korrespondiert mit dem Triebstück: Es ist davon auszugehen, dass vom blühenden Spross (wie in Bild und Herbar zu sehen unten leicht gebogen) die Spitze mit der entspringenden Blüte abgetrennt wurde. Und die Blüte dann in zunächst zwei ungleiche Hälften so geteilt wurde, dass die kleinere Hälfte ohne Griffel womöglich an der Triebspitze verblieb. Die größere Hälfte wurde nochmals zerschnitten und aufgefächert. Leider liegt sie papierseitig so, dass die Nektarkammer nicht zu sehen ist. Bei genauer Betrachtung ist aber zu erkennen, dass zwischen Herbarbogen und Blüte noch ein anderes, dünneres Papier im Bereich des Fruchtknotens liegt. Es wurde wohl beim Trocknungsprozess verwendet und blieb haften. Wenn man den schwach transparenten Blütenschnitt genau betrachtet, sieht man auch im derzeitigen aufmontierten Zustand, dass die unterste Insertionsebene der Staubfäden sehr weit unten nahe der Fruchtkammer liegen muss. Also ist auch die Nektarkammer klein, wie es für E. ortegae typisch ist (RISCHER 2018). Keinesfalls jedoch 7 mm oder länger, wie wir solches von Echinocereus sanpedroensis oder von E. topiensis kennen. Mit diesen Arten kann also weder eine Fehlidentifikation noch sonst eine Verwechslung vorliegen. Irgendwann wird es vielleicht möglich werden, auch von so alten Herbarpräparaten die zugehörige Ploidiestufe zu ermitteln! C: Historisches Kulturmaterial Hierunter verstehe ich undokumentierte Pflanzen, die sich in einigen vornehmlich alten Kakteensammlungen finden bzw. fanden. Zuerst ist hier eine Abbildung zu nennen, die CORBETT (1998: 79, Abbildung 245) publizierte und die sich unter dem Namen „E. salmianus“ in der Sammlung von Billy Beaston/USA befand. Lodé/Spanien publizierte (2015: 514-Mittelzeile-Bild 3; http://cactus-aventures.com/KaktitosShop/Seed%20Catalogue%20Graines%20Kaktitos%20-%20CACTUS/Echinocereus%20(excl.%20Morangaya,%20incl.%20Wilcoxia)/slides/Echinocereus%20salm-dyckianus%20non%20scheeri%20koehresianus%20Lau1143%20JLcoll.1263.html & http://cactus-aventres.com/KaktitosShop/Seed%20Catalogue%20Graines%20Kaktitos%20%20CACTUS/Echinocereus%20(excl.%20Morangaya,%20incl.%20Wilcoxia)/slides/Echinocereus%20salm-dyckianus%20ex%20salmianus%20JLcoll.1258.html) Bildmaterial einer Pflanze, die ursprünglich unter dem Namen „E. salmianus“ in seine Sammlung kam. Außerdem fand sich ein ähnliches Foto eines tetraploiden „E. salmianus“ aufder homepage Grootscholten (http://public.fotki.com/Grootscholten/plant-collections/ echinocereus/echinocereus-salmi anus.html). Alle diese Abbildungen zeigen vermutlich E. ortegae. Um eine Klärung herbeizuführen, ist es notwendig neben der Ploidiestufe auch einen Blütenschnitt anzufertigen. Leider ist B. Beaston schon verstorben (Di Martino, 2015 per E-Mail) und wir wissen nichts über den Verbleib der Sammlung oder dieser speziellen Pflanze, die aus der historischen Tegelberg-Kollektion herstammte. Sie hatte einen potenziellen Herkunftshorizont, der zeitlich nahe an Ortegas Schaffensperiode liegt. Ortega selbst war ein sehr erfolgreicher Pflanzensammler und auch seine „Geschäftsbeziehungen“ reichten sicher ebenso weit in die USA hinein wie seine Korrespondenz! Samen hatte er ja zur Verfügung … Danksagung: L. Di Martino, I. P. Lin und dem Team des US National Herbarium, Washington, D.C., J. Lodé und H. P. Ruinaard Quellen: